30. Mai 2009    Gartenfest


                                fest1

Ein Stück lebendiges Europa,      Artikel in der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom  13.06.2009

Annas Souvenier

Biografien Eine Familiengeschichte die in Schlesien (heute Polen) begann und heute Deutschland, Schweden und Polen verbindet

 

Heidi Borchert

Zossen Das Wetter ist alles andere als pfingstlich. Der Himmel ist grau und der Wind pfeift um die Hausecke. Doch die kleine internationale Familie des Zosseners Uli Andrees lässt sich nicht davon abhalten, auf der Terrasse des gemütlichen Einfamilienhauses das abendliche Grillfest vorzubereiten.

Uli rührt nach Geheimrezept eine Marinade fürs Fleisch zusammen, sein  Lebensgefährte Bert schnippelt die Kartoffeln für den Salat. Eva schleppt Geschirr heran, Sulo das Besteck. Mats zeigt Kurt-Göran Fotos. Nur Margith hält inne, sie ist noch zu beschäftigt, mit der Verarbeitung ihrer Erlebnisse, die sie am Vortag in Polen gemacht hat.

Ihr Cousin Uli hat die Schwedin und ihre Familie, ihren Mann Kurt-Göran, ihre Tochter Eva und ihren Sohn Mats mit Freundin Sulo, die übrigens aus Sri Lanka stammt, zu diesem Tripp eingeladen. „Unsere Urgroßeltern Wilhelm und Anna Schulz und das Landwirtehepaar August und Auguste Süßenbach stammen aus dem kleinen schlesischen Chobienia (ehemals Köben)“, erzählt Uli Andrees. Im Jahre 2006 hat er zum ersten Mal die Stadt seiner Vorfahren besucht. „Besonders gefreut habe ich mich über die gute bauliche Substanz des Schlosses und des Ehrenmals für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, auf dem auch drei Verwandte von Margith und mir verzeichnet sind“, so Andrees.

Bei ihrem jetzt gemeinsamen Besuch zu Pfingsten in Köben haben sie ihren Ahnen am Ehrenmal und auf dem Friedhof Blumengestecke mit Schleifen gewidmet. „Wir wollten damit auch einen kleinen, aber konkreten Beitrag für den europäischen Einigungsprozess leisten“, sagt der Zossener und Margith ist begeisterst davon, dass „der Bürgermeister von Köben uns sogar zum Kaffee eingeladen hat“. Margith Backlund aus Söderhamn spricht sehr gut deutsch. Sie hat es in der Schule gelernt und mit Uli über viele Jahre gepflegt und gefestigt.

Eigentlich sollte Anna, ihre Mutter, mit nach Deutschland und Polen kommen, denn sie ist es schließlich die Uli und Margith verbindet. „Doch ihr war es dann doch zu anstrengend“, entschuldigt Margith die 90-Jährige und erzählt die Familiengeschichte: Anna kam vor etwas 70 Jahren mit einer Freundin aus Schweden nach Zossen, um einen Landsmann zu besuchen, der in hier seine Gärtnerausbildung absolvierte. Sie mieteten ein Zimmer im Hause von Frieda und Oskar Süßenbach, den Sohn von August und Auguste, den es einst nach Zossen verschlug. Deren Filius Willi verliebte sich in Anna und auch sie war ihm herzlich zugetan, was sich darin äußerte, dass sie ein „Souvenir“ mit nach Hause nahm – Margith, die im April 1940 geboren wurde.

Willi und Anna sollten nie eine richtige Familie werden, denn er musste in den Krieg ziehen und fiel noch 1941 in Russland. „Er starb, ohne mich je gesehen zu haben“, sagt die heute 69-Jährige.

„Annas Eltern haben gleich nach 1945 den Kontakt zu Süßenbachs gesucht, ihnen und meiner Mutter Ruth, Willis Schwester, Bekleidung und Nahrungsmittel aus Schweden geschickt“, sagt Uli. „Da war so viel Herzlichkeit.“

Die Verbindung riss nie ab. Im Gegenteil, zu Ulis erstem Geburtstag, reisten Anna und Margith nach Zossen, um ihn zu kennen zu lernen. „Das war noch kurz vor dem Mauerbau“, erzählt der 49-Jährige. Trotz des Eisernen Vorhangs kam Margith alle vier bis fünf Jahre nach Ostdeutschland und fand gefallen an der Heimat ihres Vaters. „Und sie animierte ihre schwedischen Freunde, uns zu besuchen. Es war diese Hilfe fürs Herz, die mir Schutz und Freiheit gaben in Zeiten der sowjetischen Besatzung und dafür kann ich nicht genug danken“, sagt Uli Andrees und spricht von einer tiefen Beziehung in der Familie, zwischen Schweden und Deutschland, die mit Anna und Willi begann und sich in den nächsten Generationen hoffentlich fortsetzen wird. Und er geht noch ein Stück weiter und meint: „Es ist unser Teil am Fundament unseres einigen Europa. Schade, dass das alles meine Mutter nicht mehr erleben kann.“

Inzwischen ist der Kartoffelsalat fertig, die Holzkohle auf dem Grill hat die richtige Temperatur. Zwar schickt Petrus Blitz, Donner und Regen an diesen Pfingstsonnabend auf Zossen herab, doch der Stimmung im Garten unterm schützenden Zeltdach tut das keinen Abbruch. Hier feiert nicht nur die deutsch-schwedische Familie, sondern auch Freunde und Nachbarn sind eingeladen. „Beim nächsten Besuch bringen wir auf jeden Fall Anna wieder mit“, verspricht Margith und denkt: Wer weiß, wie lange sie das noch kann.  

                                fest2 

                                    über der alten Familienbibel

fest3 fest4
fest5 fest6